Beat-Combo neben der Spur

Mando Diao in der Color Line Arena Hamburg

Am Anfang war das Molotow.  In dem Kellerclub am Spielbudenplatz gab Mando Diao vor 100 Zuschauern   ihr erstes Hamburg-Konzert.  Die fünf jungen Schweden aus Borlänge spielten einen ruppigen Beat, das Publikum war angesichts der energiegeladenen Show völlig aus dem Häuschen. Die Band um die Sänger und Gitarristen Björn Dixgard  und Gustaf Noren rieb sich verwundert  die Augen ob des lautstarken Beifalls. Noch mehr gingen den jungen Musikern allerdings die Augen über, als sie später den Kiez erkundeten. Das war 2003. Damals stand Mando Diao am Anfang ihrer Karriere und galt als extrem cool. Sechs Jahre später werden sie in der Color Line Arena von 7000 Fans beklatscht und gefeiert, doch  nun sind sie nur noch eine Rockband, die im Mainstream angekommen ist. Die Coolness ist irgendwo auf der Strecke geblieben.

Was ja nicht zwangsläufig der Fall sein muss, bloß weil die Popularität plötzlich einen Quantensprung gemacht hat. Denn wer hat Mando Diao zum Beispiel geraten, ein gigantisches Lichtdesign einzusetzen. Überall flackert und flimmert es, Leinwände leuchten auf und verschwinden wieder. Es scheint, als würde ein Zauberlehrling diese außer Rand und Band geratene Lightshow dirigieren. Sie hat keine sichtbare Funktion, sie verstärkt die Musik nicht, sie lenkt eher ab. Der ganze Zinnober war sicher teuer, wirkt dennoch billig. Nur weil man plötzlich in einer Arena spielt, ist ein bombastisches Setting nicht zwingend erforderlich. R.E.M. oder Franz Ferdinand sind Beispiele dafür wie man das Augenmerk ausschließlich auf die Musik legen kann – unabhängig von der Größe der Arena.

Mando Diao wursteln sich durch ihr Repertoire, nehmen mit einem akustischen Teil, den Noren und Dixgard allein auf einer kleinen Bühne mitten im Saal bestreiten, die Luft völlig raus, um sich dann doch noch mal ihrer Wurzeln zu besinnen. Aber da ist bereits eine geschlagene Stunde vergangen.  Erst im zweiten Teil und bei den Zugaben besinnt sich die Band darauf, was sie eigentlich ist: eine Beat-Combo, die immer dann gut ist, wenn sie gerade und schnell spielen kann. Es scheint, als haben viele der Zuschauer Mando Diao erst mit ihrem aktuellen Album “Give Me Fire!” und den Hits “Dance With Somebody” und “Gloria” entdeckt, denn frühe Erfolgsnummern wie “Sheepdog”, “God Knows” oder “Down In The Past” kann ein Großteil des Publikums mangels Textkenntnis auf den Rängen  nicht mitsingen.

Am Ende des Abends erinnert die Band sich wieder an ihre Anfänge, als sie die letzte Nummer dem FC St. Pauli widmet, stellvertretend für ein Lebensgefühl und für einen Stadtteil, der ihnen offensichtlich immer noch etwas bedeutet. Immerhin ist ihnen bewusst, wo sie sich gerade befinden: Nebenan residiert der HSV.

Weitersagen:
  • Facebook
  • Google Bookmarks
  • Twitter
  • Webnews.de
  • MySpace
  • MisterWong
  • Digg
  • email
  • del.icio.us

Kleine Monster

Michael Hanekes preisgekrönter Film “Das weiße Band”

Ein Mund wie ein Strich. Streng. Verkniffen. Kalt. Wenn er sich öffnet, spricht er  Ermahnungen, strenge Regeln, Strafen aus. Die Worte  prasseln auf die Adressaten nieder  wie die Schläge eines Gürtels. Güte hat kaum einen Platz im Denken und Handeln des Pfarrers  (Burghart Klaußner). Jeder in seiner Familie hat sich den strengen Regeln und der orthodoxen protestantischen Moral  unterzuordnen. Bei Verstößen setzt es Schläge mit dem Gürtel. Und das weiße Band wird angelegt, das Michael Hanekes “deutscher Kindergeschichte” den Titel gibt. Es steht eigentlich für Unschuld und Reinheit,  hier jedoch bedeutet es ein sichtbares  Stigma für die Verfehlungen der Pfarrerskinder Klara und Martin (Leonard Proxauf, siehe Foto)

Die dörfliche norddeutsche Welt, die Haneke kurz vor Beginn des Ersten Weltkrieges zeigt, ist geprägt von harter Arbeit, Enge  und einem Klima der Repression. Gelacht wird hier nicht. Der Pfarrer als moralische Instanz, der Gutsherr (Ulrich Tukur) als allmächtiger Arbeitgeber und der Arzt (Rainer Bock) sind die Säulen dieses Systems, dem sich jeder unterzuordnen hat. Doch ein paar ungeklärte Vorfälle bringen dieses starre System in Unordnung und bedrohen es: Der Arzt stürzt zu Pferde über einen heimtückisch gespannten Draht, eine Scheune des Gutsbesitzers brennt ab, sein Filius  wird an einen Baum gefesselt gefunden, der zurückgebliebene Sohn der Hebamme (Susanne Lothar)  wird ebenfalls gequält und schwer verletzt, der Pfarrer schließlich findet auf seinem Schreibtisch seinen  mit einer Schere aufgespießten Wellensittich.

Es sind kleine Akte des Terrors, Schuldige werden nicht überführt, aber man ahnt, dass die Dorfkinder hinter diesen Untaten stecken. Sie sehen adrett aus, aber ihre  Gesichter  sind verschlossen und verschlagen. Man spürt, dass sie nicht die Wahrheit sagen, man ahnt, dass sie sich gegen Eltern und Obrigkeiten zur Wehr setzen, aber sie handeln fast nie offen. Haneke zeigt eine Kindergeneration voller Gefühlskälte, kleine Monstren, bereit zu Untaten ohne Gewissensbisse. Eine Generation, die 1933, im Jahr der Machtergreifung durch die Nazis,  etwa 30 Jahre alt sein wird.

Doch diese Kinder sind nur das Produkt des  Systems, das ihnen von den Erwachsenen vorgelebt wird. Selten hat man im Kino eine Szene gesehen, in der ein Mensch mit Worten derart brutal erniedrigt wird wie die Hebamme durch den Arzt, mit dem sie über Jahre ein sexuelles Verhältnis hat und der der Vater ihres behinderten Kindes ist. “Du bist hässlich, du bist ungepflegt, deine Haut ist schlaff und du riechst aus dem Mund”, schleudert er der Frau ins Gesicht. “Ich hab versucht, mir eine andere vorzustellen, wenn ich mit dir schlafe, eine, die gut riecht, die jung ist und weniger ausgeleieret als du, aber das überfordert meine Phantasie….Ich hätte auch eine Kuh bespringen können.” Später missbraucht der Arzt seine 14 Jahre alte Tochter, ein Akt allmächtiger Perversion.

Doch  es gibt auch Figuren, die offen opponieren. Max (Sebastian Hülk), der Sohn eines Bauern, schlägt dem Gutsherren ein Feld mit Kohlköpfen ab, weil er den Baron für den Unfalltod seiner Mutter verantwortlich macht. Die Frau des Barons (Ursina Lardi) verlässt das Dorf mit ihrem Sohn und begibt sich nach Italien. Hier wird das Exil späterer Generationen vorweggenommen, wenngleich es bei der Baronin ein freiwilliges ist. Man muss dieses Land und seine Bewohner fliehen.

Haneke hat “Das weiße Band” in schwarz-weiß gedreht, der Himmel über Eichwald, so der Name des Dorfes,  leuchtet nicht blau, er zeigt sich in Grautönen. Die Bilder sind von einer beeindruckenden Brillanz, geschickt arbeiten der Regisseur und sein Kameramann Christian Berger   mit den Möglichkeiten verschiedener Schattierungen und greller Helligkeit. Idyllische Lieblichkeit ist angesichts dieses ästhetischen Verfahrens ausgeschlossen.

Haneke deutet vieles nur an.  Doch gerade diese Auslassungen erzeugen das  Klima der Bedrohlichkeit, der lauernden Brutalität, die sich urplötzlich Bahn bricht, ohne dass man sie kommen sehen könnte. Das ist der Terror, wie ihn unzählige Menschen jeden Tag in den Krisengebieten der Welt erleben. Haneke macht ihn spürbar. Deshalb ist “Das weiße Band” einer der herausragenden Filme dieses Jahres und vor ein paar Monaten zu Recht mit der Goldenen Palme bei den Filmfestspielen in Cannes ausgezeichnet worden.

Das weiße Band D/A/F/I  2009, 150 Minuten; R. Michael Haneke, D: Burghart Klaußner, Ulrich Tukur, Josef Bierbichler, Steffi Kühnert, Susanne Lothar, Rainer Bock, Detlev Buck, Christian Friedel, Leonie Benesch, Ursina Lardi

Weitersagen:
  • Facebook
  • Google Bookmarks
  • Twitter
  • Webnews.de
  • MySpace
  • MisterWong
  • Digg
  • email
  • del.icio.us

Retrorock für den Straßenkreuzer

Wolfmother: Cosmic Egg

Mit einem offenen Straßenkreuzer den Highway 1 an der kalifornischen Küste von Santa Cruz über Carmel und Big Sur bis nach San Luis Obispo cruisen, die Haare im Fahrtwind wehen lassen und dazu das entsprechende Tape. “California Queen” ist ein Song, der diesem Lebensgefühl von Weite und grenzenloser Freiheit entspricht. Ein Aufbruch, angetrieben vom Rhythmus des  Schlagzeugs,  befeuert von Orgel und Gitarre und das  im Stil von Led Zeppelin, Black Sabbath und Grand Funk Railroad. Bands also, die in den  70er-Jahren ihre größte Zeit hatten. Wolfmother nehmen diesen Sound wieder auf und transportieren ihn in die Gegenwart. Vor drei Jahren landeten sie mit ihrem Debüt gleich einen Hit, verkauften eine Million Exemplare und spielten fast ausschließlich in ausverkauften Clubs. Drei Jahre hat das australische Trio für den Nachfolger gebraucht, aber  leider eignen sich nicht alle Nummern  für eine wie oben beschriebene Überlandpartie.

Sänger und Gitarrist Andrew Stockdale musste sich 2007 eine neue Band suchen, weil er sich mit seinen seinen beiden Mitstreitern  Chris Ross und Myles Heskett überworfen hatte.  Stockdale erweiterte sein Trio zu einem Quartett und holte einen Rhythmusgitarristen hinzu, der ihm einiges an Arbeit abnehmen sollte. In Byron Bay, einem australischen Hippie-Mekka, schrieb  er neue Songs und erarbeitete sie mit seiner Band. Aber einen Song wie “The Joker And The Thief” vom Debüt schüttelt man nicht so einfach aus dem Ärmel. Deshalb ist “Cosmic Egg” immer noch ein ordentliches Retro-Rock-Album geworden, aber eben kein großer Wurf mehr. Einige der neuen Songs hängen etwas durch, stark ist Wolfmother immer dann, wenn sie Tempo bolzen wie in   “California Queen”, “Pilgrim” oder im zweiten Teil von “In The Castle”.  Für die fulminanten Liveauftritte der Band gibt es also weiteren Nachschub, doch beim Songwriting sind Stockdale etwas die Ideen ausgegangen.

Wolfmother: Cosmic Egg (Universal)

Weitersagen:
  • Facebook
  • Google Bookmarks
  • Twitter
  • Webnews.de
  • MySpace
  • MisterWong
  • Digg
  • email
  • del.icio.us

Papst + Mittelalter = Erfolg

Sönke Wortmanns Romanverfilmung “Die Päpstin”

http://www.moviepilot.de/files/images/0180/4179/P%C3%A4pstin_article.jpg

Der Titel ist kurz und plakativ. “Die Päpstin” (im Original: “Pope Joan”) verspricht eine Geschichte, die es    nicht geben kann und nicht geben darf.  Doch es existiert die Legende einer Frau auf dem Papst-Thron. Diese Gerüchte aus grauer Vorzeit  hat sich die amerikanische Schriftstellerin Donna Woolfolk Cross vorgenommen und daraus 1996 einen Bestseller gestrickt. Die Gleichung: Papst plus Mittelalter gleich Erfolg ging auf, denn der Roman verkaufte  sich allein in Deutschland fünf Millionen Mal. Der Vatikan ist nicht erst seit der vom Boulevard initiierten “Wir sind Papst”-Kampagne nach der Wahl des deutschen Erzbischofs Joseph Ratzinger zum Oberhaupt der katholischen Kirche  von geradezu außergewöhnlichem Interesse. Was passiert hinter den Mauern der Heiligen Stadt? Immer wieder gab es Gerüchte über  Ränke, Intrigen, dunkle Machenschaften und Verbrechen an diesem mysteriösen Ort der Heiligkeit. Warum also sollte es nicht einen weiblichen Papst gegeben haben, dessen skandalöse Existenz  natürlich aus den kirchlichen Annalen getilgt worden ist? Historische Belege liefert Donna Woolfolk Cross nicht, aber die existieren auch  über König Artus   nicht. Bestseller schreien geradezu nach ihrer Umsetzung als Kinostoff. Die Comstantin, in der Vergangenheit mit internationalen Romanverfilmungen wie “Der Name der Rose” oder “Das Geisterhaus” erfolgreich, hat “Die Päpstin” jetzt in die Kinos gebracht – allerdings nicht ohne eine Menge Anlaufschwierigkeiten.

Ursprünglich sollte Volker Schlöndorff den Roman in  Filmsprache umsetzen, doch der renommierte Regisseur stieg aus dem Projekt aus, weil er neben der Kinofassung parallel einen für das Fernsehen gedachten Mehrteiler drehen sollte. Die Constantin verpflichtete Sönke Wortmann, der sich bisher vor allem mit Komödien und als Dokumentar der deutschen Fußballnationalmannschaft einen Namen gemacht hatte.  So richtig viel ist Wortmann denn zu dem Thema nicht eingefallen. Brav erzählt er die Romanvorlage nach und schildert den Weg der blitzgescheiten Johanna aus ihrem kleinen Weiler Ingelheim über die Scola in Dorstadt und das Kloster Fulda bis hin nach Rom, wo sie zuerst Medicus des Papstes wird und im Jahr 847 selbst den Heiligen Thron besteigt – als Mann verkleidet.

Wortmann zeigt das Mittelalter mit allen Klischees. Weil es eine düstere Zeit ist, wird nur im Halbdunkel gedreht, selbst bei Außenaufnahmen bleibt es immer etwas neblig, so wäre die Sonne ein paar Jahrzehnte lang nicht erschienen. Anders  Rom: Die Sonne reflektiert so stark von den Mauern der  südliche Metropole, dass man geneigt ist, im Kino zur Sonnenbrille zu greifen. Man erfährt, dass Mädchen und Frauen im Mittelalter Menschen zweiter Klasse waren und es damals furchtbar dreckig war. Die Kostüme der Darsteller und Komparsen wurden eigens durch den Dreck gezogen, um ein möglichst “authentisches” Mittelalter zu zeigen.

Eigentlich hätte  die kleine Johanna aus Ingelheim in diesen Zeiten keine Chance gehabt, diesem Leben als hart arbeitende Gebärmaschine zu entgehen, doch ihr Leben erscheint wie eine Aneinanderreihung von Sechsern im Lotto. Der Zehnjährigen gelingt die Flucht aus den Fängen des strengen Vaters (Iain Glen) , sie wird in die nur Jungen vorbehaltenen Scola aufgenommen, sie findet einen Ritter, der sie fördert, und als sie  gegen ihren Willen mit dem tumben Sohn eines Schmieds verheiratet werden sollen,  stürmen die Normannen 30 Sekunden vor Johannas “Ja”-Wort die Kirche, richten ein Blutbad an, aber der Heldin gelingt die nächste Flucht. Am Ende wird sie zum Papst Johannes Anglicus gekrönt und man fragt sich: Wie konnte es jahrelang unbemerkt bleiben, dass sich hier eine Frau für einen Mann ausgibt?

Wortmann und auch der Hauptdarstellerin Johanna Wokalek gelingen es in diesen 148 Minuten nicht, die Protagonistin mit einer Aura zu umgeben, die diese beispiellose, eigentlich unmögliche Berufung plausibel macht. Ihre inneren Kämpfe – die Liebe zu Gott  steht gegen die Liebe zu ihrem Förderer, dem Grafen Gerold ((David Wenham) – werden nicht besnders tief ausgelotet.  So bleibt “Die Päpstin” nur ein Stück biederes deutsches Mainstream-Kino und für den Fußballer Wortmann die Erkenntnis, dass er sich auf sehr seifiges Terrain begeben hat.

Die Päpstin D 2009, 148 Minuten, R: Sönke Wortmann, D: Johanna Wokalek, John Goodman, David Wenham, Iain Glen

Weitersagen:
  • Facebook
  • Google Bookmarks
  • Twitter
  • Webnews.de
  • MySpace
  • MisterWong
  • Digg
  • email
  • del.icio.us

Abgründe eines Romantikers

Ein Abend mit Songs und Lesungen von Nick Cave auf Kampnagel

[sm_Nick_Cave_k_SAM1884.jpg]

Einen Song zu schreiben ist wie eine Wassermelone durch ein enges Loch zu zwängen. Einen Roman zu schreiben ist dagegen einfach.” Sagt Nick Cave. Der muss es wissen, denn Songs hat er aberdutzende geschrieben, Romane erst zwei. Weil gerade weltweit “Der Tod des Bunny Munro” erschienen ist, hat Cave sich aufgemacht, um das neue Werk der Öffentlichkeit zu präsentieren. Nicht in Form einer Lesung wie das “normale” Schriftsteller tun, sondern ausge-schmückt mit Musik. Nicht in einer Buchhandlung oder dem Literaturhaus, sondern auf Kampnagel. Und weil so eine Tour mit ein paar Freunden mehr Spaß macht als allein, begleiten Caves engster Mitstreiter, der Multiinstrumentalist Warren Ellis, und der Bad-Seeds-Bassist Martyn Casey ihn. In Hamburg ist als special guest Caves alter Freund Blixa Bargeld dabei, Sänger der Einstürzenden Neubauten und ein Jahrzehnt lang auch Rhythmusgitarrist von Caves Band, den Black Seeds.

Gelesen wird wenig an diesem Abend. Zwei Passagen trägt Cave vor, für eine weitere kramt Blixa Bargeld seine Lesebrille raus. Lesung bedeutet bei beiden Performance, gerade Cave rhythmisiert seinen Text wie ein Rapper. Genauso zotig wie die Reime vieler Hip-Hop-Artisten sind auch viele Passagen in Caves Roman. Die Hauptfigur Bunny Munro, ein Vertreter für allerlei Hand- und Gesichtscremes, gehört zu der Sorte Mann, dessen gesamtes Denken um die weibliche Vagina kreist. Caves Protagonist und seine Handlungen sind etwas eindimensional, insofern ist es eine gute Entscheidung des in London lebenden Musikers, den zweistündigen Abend mehr mit Songs zu füllen als mit gelesenen Textpassagen.

In den reduziert arrangierten Songs zeigt sich die andere Seite des Nick Cave: Er ist ein Romantiker und ein Prediger, er ist ein gottesfürchtiger Künstler, der durch manches Tal der Tränen gewatet ist, dessen Denken und Schreiben um Tod und Erlösung, um die Bitterkeit der Liebe und grenzenlose Einsankeit kreisen. “Ihr könnt euch Songs wünschen, und wir spielen sie dann”, fordert er seine Fans auf. Wild durcheinander rufend nehmen die Fans auf Kampnagel dieses Angebot an und so mancher Wunsch wird erfüllt, weil einige von Caves größten Hits auf der Setlist stehen. Wie “The Mercy Seat”, der “Ship Song”, “Tupelo” oder der “Weeping Song”, den Cave zusammen mit Blixa Bargeld singt.

Wenn Cave nach dieser Tournee wieder an seinen Schreibtisch zurückkehrt, wird er hoffentlich wieder versuchen, Wassermelonen durch zu kleine Löcher zu pressen. Denn als Songschreiber ist er ein wahrer Meister, “Bunny Munro” darf in die Abteilung Pop-Trash abgelegt werden.

Photos: ©Stefan Malzkorn/Hamburg

Weitersagen:
  • Facebook
  • Google Bookmarks
  • Twitter
  • Webnews.de
  • MySpace
  • MisterWong
  • Digg
  • email
  • del.icio.us

Wolfmothers Wiederkehr

Die australischen Retro-Rocker stellen ihr neues Album “Cosmic Egg” im Knust vor

Led Zeppelin wird niemand mehr auf der Bühne erleben. Thin Lizzy ebenso wenig. Und Black Sabbath wohl auch nicht. Zum Glück gibt es Wolfmother. Der Name steht für die Synergie der Gegenwart aus den Rockklassikern der 70er-Jahre, kurz Retrorock. Manchmal singt Andrew Stockdale wie Ozzy Osbourne, manchmal wie Robert Plant, der gerade Pubrock von Thin Lizzy hat ebenso seine unüberhörbaren Spuren hinterlassen wie die Gitarrenattacken eines Jimmy Page. Vor drei Jahren stürmte das Trio aus Sydney die Festivalbühnen Europas und Amerikas. Wolfmother war die Wiedergeburt des Power-Rock-Trios.

Drei Jahre nach ihrem kometenhaften Aufstieg ist aus dem Trio ein Quartett geworden. Bassist Chris Ross und Schlagzeuger Myles Heskett verließen die Band, Stockdale hat sich neue Mitstreiter und vor allem einen zweiten Gitarristen gesucht, was ihn enorm entlastet, denn er war Page und Plant, Osbourne und Iommi in einer Person. Zum Warmwerden und um Begehrlichkeiten zu schaffen, absolviert die zweite Wolfmother-Auflage gerade eine Tournee durch Europa und Nordamerika. Gespielt wird in kleinen Clubs, die allesamt ausverkauft sind.

In Hamburg hat die Band sich für das Knust entschieden. Draußen enttäuschte Gesichter derjenigen, die auch mit den traurigsten Dackelaugen niemanden überreden können, ihnen ein Ticket zu verkaufen, drinnen eine dichtgedrängte Menge, bereit, die Energie von der Bühne 1:1 zurückzugeben. Es brodelt, es kocht. Arme recken sich nach oben. Ausgestreckte Zeigefinger schlagen den Takt. Eine Blondine spielt verzückt Luftgitarre, ein Typ mit Brad-Pitt-Basterds-Oberlippenbart hat es auf die Bühne geschafft und springt in die Menge, um über der Crowd zu surfen.

Andrew Stockdale schleudert die Energie nur so heraus. Er reißt seine Gitarre hoch, jagt am unteren Rand des Griffbretts mit Hochgeschwindigkeit über die Saiten und jagt Impuls nach Impuls in die unter ihm tobende Menge. Bassist und Keyboarder Ian Peres, ein bärtiger, bis zu den Augen zugewachsener Kobold springt neben Stockdale auf und ab, während der zweite Gitarrist Aidan Nemeth und Schlagzeuger Dave Atkins mit Rollen im Hintergrund bescheiden. Aber auch sie sind ein wichtiger Teil dieses Rock-Kraftwerks.

In der kommenden Woche erscheint „Cosmic Egg“, das zweite Album der Australier, aus der sie ein paar neue Nummern wie den Titeltrack, „New Moon Rising“ und „White Feather“ spielten, der Großteil des Repertoires stammt jedoch aus dem vor drei Jahren erschienenen Debütalbum: „Dimension“, „Colossal“ und „White Unicorn“ stehen auf der Setlist und natürlich der Hit „Joker & The Thief“. Den spart Wolfmother sich für die letzte Zugabe des 85minütigen Auftritts auf. Die Dramaturgie ist aufgegangen, für die meisten sind Wolfmother gerade die beste Band der Welt. Nächste Woche das neue Album kaufen und dann Ausschau nach den nächsten Liveterminen halten. Wer war noch mal Led Zeppelin?

Photo: © Stefan Malzkorn/Hamburg

Weitersagen:
  • Facebook
  • Google Bookmarks
  • Twitter
  • Webnews.de
  • MySpace
  • MisterWong
  • Digg
  • email
  • del.icio.us